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DER SPIEGEL 17/2010 - Die Biene des Diktators
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26.04.2010
Die Biene des Diktators
Von Schulz, Sandra
Global Village: Ein US-Professor übersetzt und deutet Comics aus
Nordkorea.
Sie ist wagemutig, klug und kampfeswillig, sie ist eine Biene in Uniform,
bereit, das Reich ihrer Königin zu verteidigen. Sie ist so etwas wie die
Mickymaus Nordkoreas, eine der berühmtesten Comicfiguren des
Landes, ihr Name: General "Mächtiger Wing".
Der Mann, der alles über die Biene weiß, heißt Heinz Insu Fenkl, er ist
Professor für Englisch an der State University of New York. Sein Vater
las im VietnamKrieg einst die Mao-Bibel, denn er glaubte, die lese der
Vietcong auch, und er wollte die Gedanken des Feindes verstehen. Fenkl
liest nordkoreanische Comics, an die 500 Seiten hat er schon übersetzt,
ihm geht es um ein "kulturelles Profil" der fremden Nation. Er forscht
ohne offiziellen Auftrag, nur aus Leidenschaft.
Demnächst soll er in Washington einen Vortrag halten, die Johns
Hopkins University hat ihn eingeladen, an ihr berühmtes Institut für
Internationale Studien. Er soll erklären, was die Zeichnungen aus dem
Reich des Bösen verraten über den Charakter, die Weltsicht, die
politische Strategie eines Regimes, das mal verhandelt, mal mit der
Bombe droht. Und sie werden wohl alle kommen, die Koreaforscher, die
Politikberater der Regierung. Sie werden den Geschichten lauschen von
Zing-Zing und Wing-Wing, vom "Garten der eintausend Blumen", dem
autarken, sozialistischen Honigparadies, das bedroht ist von
imperialistischen Wespen.
Es sind die Geschichten, mit denen nordkoreanische Schulkinder zu
loyalen Untertanen gemacht werden, und deshalb sind sie auch immer
Propaganda, nur die Methode variiert. In einem Comic, 2005
veröffentlicht, erscheint George W. Bush mit ellenlanger Zunge, dem
Merkmal des Lügners. Daneben steht: "Er ist verrückt danach,
wiedergewählt zu werden. Er machte dem amerikanischen Volk mehr als
150 Versprechungen." Am Ende der Geschichte will Bush auch noch eine
Prostituierte heiraten.
In den letzten Jahren ließ das Regime vor allem historische Comics
produzieren, der Blick richtete sich auf vergangene, goldene Epochen.
Fenkl sieht darin eine Strategie: Zur gleichen Zeit, als sich Nordkorea
der Welt öffnete und in der Sonderwirtschaftszone Kaesong um
Investoren warb, stärkte es die nationale Identität. Das Bewusstsein
eigener Größe soll das Volk wappnen gegen gefährliche Einflüsse aus
der Fremde.
Fenkl, 50 Jahre alt, aufgewachsen in Südkorea, verschlang schon als
Kind Comics, nun studiert er sie als Kulturanthropologe. Das Material
lässt er sich von Kollegen aus Nordkorea mitbringen in die Idylle von
Poughkeepsie im Bundesstaat New York. Dort wohnt er, dort steht die
Parkbank, auf der er gern sitzt und Diktatoren-Comics übersetzt,
während seine Tochter Gänse füttert.
Er selbst traut sich noch nicht hinein in den totalitären Staat. Denn sein
Vater befehligte in den sechziger Jahren die amerikanische Ehrengarde
an der innerkoreanischen Grenze und liebte nichts mehr, als die
Nordkoreaner zu ärgern. In seiner Truppe durften nur hochgewachsene
Männer dienen, damit sie die kleinen nordkoreanischen Soldaten auf der
anderen Seite überragten. "Schurken-Fenkl" nannten die Nordkoreaner
ihn, und irgendwie hat sein Sohn, der Professor, Angst, die
Nordkoreaner könnten nachtragend sein. Schließlich trägt er denselben
Namen wie sein Vater, und für Sippenhaft ist das Regime ja bekannt.
"Meine Kollegen denken", sagt Fenkl, "ich sei paranoid. Ich denke, ich
verstehe einfach deren Kultur."
Ein Kollege war es auch, der nach einer Reise berichtete, wie Fenkls
Arbeit so ankommt in Pjöngjang. Die Menschen seien stolz gewesen,
sehr stolz, dass ihre Kulturgüter im Ausland übersetzt werden. Nicht nur,
dass Galeristen in Europa und China nordkoreanische Kunst verkaufen,
jetzt will die Welt auch unsere Comics lesen, freuten sich die
Nordkoreaner. Auch wenn sie es ganz amüsant fanden, um nicht zu
sagen: dümmlich, dass sich die Amerikaner sogar auf ihre
Bildergeschichten stürzen.
Die Comics aus Pjöngjang sind realistisch gezeichnet, sie haben nichts
von heutigen Manga-Figuren, keine überdimensionierten Muskeln, keine
großen "westlichen" Augen, keine riesigen Brüste - Sex kommt sowieso
nicht vor. Dafür ein schönes Landmädchen, das den Geliebten verlässt,
um in der Armee des "Geliebten Führers" zu dienen, Titel: "Die
jungfräuliche Scharfschützin". Stilistisch erinnern Fenkl die Comics aus
dem abgeschotteten Staat an südkoreanische und japanische Comics
von vor 40 Jahren.
Dabei ist der Diktator gern auf der Höhe der Zeit, Kim Jong Il liebt
Hollywood-Filme. Und was, fragt Fenkl, wenn auch Kim US-Filme nutzt,
um Einblicke in unser kollektives Unterbewusstsein zu erlangen? Was
würde er lernen? Dass Amerika seine Helden nicht sterben lässt, dass
Amerika Angst hat vor toten Soldaten. In Kims Comics opfert der Held
sein Leben, damit der Feind nicht triumphiert.
Leider fehlen Fenkl die neuesten Werke aus Nordkorea. Doch er ist sich
sicher, dass auch Obama längst zur Comicfigur geworden ist. Und weil
man dort gern den Schakal nimmt als Symbol für die Amerikaner, weil
Schwarze ohnehin als unterlegen gelten, weil man sich dort gern dem
Wahn von rassischer Reinheit hingibt, wäre Fenkls Vermutung: Obama
erscheint als Tier, als Mischlingshund.
Gern hätte Fenkl die Comics in den USA veröffentlicht, aber er fand
keinen Verlag, in einer Absage stand, man werde gewiss nicht
antiamerikanische Erzeugnisse drucken. Er will jetzt ein Online-Archiv
aufbauen, einige seiner Studenten helfen ihm dabei.
Es könnte übrigens gut sein, glaubt Fenkl, dass sich die Nordkoreaner
bald seine Übersetzungen besorgen und die Comics auf Englisch
verkaufen, an Touristen in Pjöngjang.
DER SPIEGEL 17/2010
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