Monday, April 26, 2010

Die Biene des Diktators

03.07.10 17:35

DER SPIEGEL 17/2010 - Die Biene des Diktators

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26.04.2010

Die Biene des Diktators

Von Schulz, Sandra

Global Village: Ein US-Professor übersetzt und deutet Comics aus

Nordkorea.

Sie ist wagemutig, klug und kampfeswillig, sie ist eine Biene in Uniform,

bereit, das Reich ihrer Königin zu verteidigen. Sie ist so etwas wie die

Mickymaus Nordkoreas, eine der berühmtesten Comicfiguren des

Landes, ihr Name: General "Mächtiger Wing".

Der Mann, der alles über die Biene weiß, heißt Heinz Insu Fenkl, er ist

Professor für Englisch an der State University of New York. Sein Vater

las im VietnamKrieg einst die Mao-Bibel, denn er glaubte, die lese der

Vietcong auch, und er wollte die Gedanken des Feindes verstehen. Fenkl

liest nordkoreanische Comics, an die 500 Seiten hat er schon übersetzt,

ihm geht es um ein "kulturelles Profil" der fremden Nation. Er forscht

ohne offiziellen Auftrag, nur aus Leidenschaft.

Demnächst soll er in Washington einen Vortrag halten, die Johns

Hopkins University hat ihn eingeladen, an ihr berühmtes Institut für

Internationale Studien. Er soll erklären, was die Zeichnungen aus dem

Reich des Bösen verraten über den Charakter, die Weltsicht, die

politische Strategie eines Regimes, das mal verhandelt, mal mit der

Bombe droht. Und sie werden wohl alle kommen, die Koreaforscher, die

Politikberater der Regierung. Sie werden den Geschichten lauschen von

Zing-Zing und Wing-Wing, vom "Garten der eintausend Blumen", dem

autarken, sozialistischen Honigparadies, das bedroht ist von

imperialistischen Wespen.

Es sind die Geschichten, mit denen nordkoreanische Schulkinder zu

loyalen Untertanen gemacht werden, und deshalb sind sie auch immer

Propaganda, nur die Methode variiert. In einem Comic, 2005

veröffentlicht, erscheint George W. Bush mit ellenlanger Zunge, dem

Merkmal des Lügners. Daneben steht: "Er ist verrückt danach,

wiedergewählt zu werden. Er machte dem amerikanischen Volk mehr als

150 Versprechungen." Am Ende der Geschichte will Bush auch noch eine

Prostituierte heiraten.

In den letzten Jahren ließ das Regime vor allem historische Comics

produzieren, der Blick richtete sich auf vergangene, goldene Epochen.

Fenkl sieht darin eine Strategie: Zur gleichen Zeit, als sich Nordkorea

der Welt öffnete und in der Sonderwirtschaftszone Kaesong um

Investoren warb, stärkte es die nationale Identität. Das Bewusstsein

eigener Größe soll das Volk wappnen gegen gefährliche Einflüsse aus

der Fremde.

Fenkl, 50 Jahre alt, aufgewachsen in Südkorea, verschlang schon als

Kind Comics, nun studiert er sie als Kulturanthropologe. Das Material

lässt er sich von Kollegen aus Nordkorea mitbringen in die Idylle von

Poughkeepsie im Bundesstaat New York. Dort wohnt er, dort steht die

Parkbank, auf der er gern sitzt und Diktatoren-Comics übersetzt,

während seine Tochter Gänse füttert.

Er selbst traut sich noch nicht hinein in den totalitären Staat. Denn sein

Vater befehligte in den sechziger Jahren die amerikanische Ehrengarde

an der innerkoreanischen Grenze und liebte nichts mehr, als die

Nordkoreaner zu ärgern. In seiner Truppe durften nur hochgewachsene

Männer dienen, damit sie die kleinen nordkoreanischen Soldaten auf der

anderen Seite überragten. "Schurken-Fenkl" nannten die Nordkoreaner

ihn, und irgendwie hat sein Sohn, der Professor, Angst, die

Nordkoreaner könnten nachtragend sein. Schließlich trägt er denselben

Namen wie sein Vater, und für Sippenhaft ist das Regime ja bekannt.

"Meine Kollegen denken", sagt Fenkl, "ich sei paranoid. Ich denke, ich

verstehe einfach deren Kultur."

Ein Kollege war es auch, der nach einer Reise berichtete, wie Fenkls

Arbeit so ankommt in Pjöngjang. Die Menschen seien stolz gewesen,

sehr stolz, dass ihre Kulturgüter im Ausland übersetzt werden. Nicht nur,

dass Galeristen in Europa und China nordkoreanische Kunst verkaufen,

jetzt will die Welt auch unsere Comics lesen, freuten sich die

Nordkoreaner. Auch wenn sie es ganz amüsant fanden, um nicht zu

sagen: dümmlich, dass sich die Amerikaner sogar auf ihre

Bildergeschichten stürzen.

Die Comics aus Pjöngjang sind realistisch gezeichnet, sie haben nichts

von heutigen Manga-Figuren, keine überdimensionierten Muskeln, keine

großen "westlichen" Augen, keine riesigen Brüste - Sex kommt sowieso

nicht vor. Dafür ein schönes Landmädchen, das den Geliebten verlässt,

um in der Armee des "Geliebten Führers" zu dienen, Titel: "Die

jungfräuliche Scharfschützin". Stilistisch erinnern Fenkl die Comics aus

dem abgeschotteten Staat an südkoreanische und japanische Comics

von vor 40 Jahren.

Dabei ist der Diktator gern auf der Höhe der Zeit, Kim Jong Il liebt

Hollywood-Filme. Und was, fragt Fenkl, wenn auch Kim US-Filme nutzt,

um Einblicke in unser kollektives Unterbewusstsein zu erlangen? Was

würde er lernen? Dass Amerika seine Helden nicht sterben lässt, dass

Amerika Angst hat vor toten Soldaten. In Kims Comics opfert der Held

sein Leben, damit der Feind nicht triumphiert.

Leider fehlen Fenkl die neuesten Werke aus Nordkorea. Doch er ist sich

sicher, dass auch Obama längst zur Comicfigur geworden ist. Und weil

man dort gern den Schakal nimmt als Symbol für die Amerikaner, weil

Schwarze ohnehin als unterlegen gelten, weil man sich dort gern dem

Wahn von rassischer Reinheit hingibt, wäre Fenkls Vermutung: Obama

erscheint als Tier, als Mischlingshund.

Gern hätte Fenkl die Comics in den USA veröffentlicht, aber er fand

keinen Verlag, in einer Absage stand, man werde gewiss nicht

antiamerikanische Erzeugnisse drucken. Er will jetzt ein Online-Archiv

aufbauen, einige seiner Studenten helfen ihm dabei.

Es könnte übrigens gut sein, glaubt Fenkl, dass sich die Nordkoreaner

bald seine Übersetzungen besorgen und die Comics auf Englisch

verkaufen, an Touristen in Pjöngjang.

DER SPIEGEL 17/2010

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