Tuesday, May 25, 2010

Nordkoreas ewige Provokationen

03.07.10 18:11

Torpedoattacke: Nordkoreas ewige Provokationen | Politik | ZEIT ONLINE

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AUSLAND

VON Steffen Richter 25.5.2010 - 19:14 Uhr

TORPEDOATTACKE

Nordkoreas ewige Provokationen

Droht Krieg zwischen Nord- und Südkorea? Wohl nicht, wenn

Seoul sich zurückhält und die Torpedoattacke als Teil des

üblichen Gebarens Pjöngjangs begreift.




Die Kriegsrhetorik hält Einzug in die Auseinandersetzungen zwischen Nord- und

Südkorea, seitdem die südkoreanische Korvette Cheonan wohl durch einen

Torpedoangriff des kommunistischen Nachbarlandes versenkt wurde. 46 Matrosen

starben durch die Attacke nahe der innerkoreanischen Seegrenze im Gelben Meer

Ende März. Pjöngjang bestreitet, das Schiff versenkt zu haben.

Südkoreas Präsident Lee Myung Bak behielt sich am Montag im Fall weiterer

Provokationen des Nordens für sein Land das Recht auf Selbstverteidigung vor.

Nordkorea konterte mit militärischen Drohungen. Südkorea wiederum will die

Propaganda-Durchsagen an der Grenze wieder aufnehmen, der Norden drohte, die

Lautsprecher zu beschießen. Vergangene Woche bereits soll Nordkoreas Machthaber

Kim Jong Il seine Streitkräfte in Kampfbereitschaft versetzt haben, heißt es am

Dienstag aus Dissidentenkreisen, doch eine Bestätigung dieser Meldung gibt es

nicht. Südkorea und die USA planen nun zwei gemeinsame Seemanöver, berichtete

das US-Verteidigungsministerium am Montag. Bei den Übungen solle es vor allem

darum gehen, U-Boote aufzuspüren und abzuwehren.

Die Wut in Südkorea und die Solidaritätsmaßnahmen ihrer Schutzmacht USA mögen

nachvollziehbar sein, bei der Lösung der ewigen Krise helfen sie keineswegs.

Ohnehin wäre der Norden in einem ernsthaften militärischen Konflikt chancenlos.

Die kommunistische Diktatur unterhält zwar eine große Armee – viel zu groß für das

komplett verarmte Land mit seinen 24 Millionen Einwohnern –, doch ist ihre

militärische Ausrüstung veraltet. Mehr als eine Million Soldaten stehen für

Pjöngjang im Sold, die meisten stationiert im Grenzgebiet zum Süden. Im Mai

vergangenen Jahres gelang es dem Regime zudem, erfolgreich eine Atomwaffe zu

zünden – wenngleich es nach Ansicht von Experten noch mehrere Jahre benötigt,

um einen Sprengkopf für eine selbstentwickelte Rakete zu bauen. Deshalb ist die

konventionelle Bewaffnung zurzeit noch eine größere Gefahr für Nordkoreas

Nachbar: Nur 40 Kilometer sind die Außenbezirke Seouls von der Grenze entfernt.

Im Süden sind daher 28.000 US-Soldaten stationiert, Seoul hat 670.000 Soldaten.

Weshalb also riskiert Diktator Kim eine Verschärfung des Dauerkonfliktes, den er

militärisch nicht gewinnen kann? Der Verdacht liegt nahe, dass er die Torpedo-

Attacke erneut dazu nutzte, seine vermeintliche Unberechenbarkeit zu

unterstreichen. 2009 provozierte das Regime schon mit dem Start von Kurz- und

Mittelstreckenraketen. Ein Langstreckentest misslang zwar, doch im Mai folgte die

unterirdische Zündung der Atomwaffe, im November ließ man dann ein

Patrouillenboot in südkoreanische Gewässer eindringen.

Diese Grenzüberquerung endete mit einem Beschuss durch ein südkoreanisches

Kriegsschiff. Aus der Regierung in Seoul heißt es jetzt, dass die Cheonan-Affäre eine

Vergeltung für diese Demütigung sei, doch stimmt dies allenfalls zum Teil. Vielmehr

kann der Torpedo-Beschuss als eine Fortsetzung der kalkulierten Provokationen

gesehen werden, mit denen Kim Jong Il bislang durchaus Erfolg hatte. Er will mit

extremen Aktionen erzwingen, dass die USA direkt mit Pjöngjang über das

umstrittene Atomprogramm verhandeln. Dabei ist es allerdings sehr

unwahrscheinlich, dass Nordkorea im Falle direkter Verhandlungen mit Amerika am

Ende tatsächlich auf sein Nuklear- und Raketenprogramm verzichten würde. Allein

die Möglichkeit, dass man imstande sein könnte, eine atomwaffenartige

Massenvernichtungswaffe zu bauen, gibt Pjöngjang Macht.

Doch Nordkorea braucht eben auch Geld und Lebensmittel, das extrem verarmte

Land liegt wirtschaftlich und sozial am Boden. Eine gescheiterte Währungsreform

Ende 2009 – man wollte freie Märkte zerstören und die zentrale Planung stärken –

hat die privaten Ersparnisse vernichtet und erstmals seit Langem das unterdrückte

Volk in Unruhe versetzt. Wenig später ruderte die Regierung zurück, die kleinen

Märkte durften wieder öffnen, doch der Schaden war groß. Tonnenweise werden nun

Nahrungsmittel aus dem Ausland gebraucht, um die Menschen in dem isolierten

Land ernähren zu können.

Wichtig ist für Kim Jong Il auch, die Gruppe der Günstlinge aus Partei und Militär

finanziell ruhig zu stellen. Empfindlich trifft die Nomenklatura dabei, dass die

Deviseneinnahmen aus dem Waffenhandel gestört sind, seit eine UN-Resolution

vom Juni 2009 nach dem Atomwaffentest die Kontrolle von Fracht aus und nach

Nordkorea ermöglicht.

Das Schüren regionaler Spannungen kann daher auch von den inneren Problemen

ablenken. Der Abschuss eines südkoreanischen Schiffes und der Tod von 46

Soldaten ist jedoch eine Dimension, die es so seit den achtziger Jahren des

vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gab. 1983 verübten nordkoreanische

Geheimdienstler im birmanischen Rangun einen Anschlag auf den Premier des

Südens, dabei starben 17 Begleiter des Politikers; 1987 wurden zwei nordkoreanische

Spione für einen Bombenanschlag auf ein südkoreanisches Verkehrsflugzeug

verantwortlich gemacht, bei dem 115 Menschen ums Leben kamen. Heute ist vor

allem in Südkorea die Sorge groß, dass Pjöngjang das Land attackieren könnte, um

beispielsweise zu erzwingen, dass Wirtschaftshilfen wieder aufgenommen werden.

Die Möglichkeiten, auf diese Attacke zu antworten, sind für Südkorea eher

beschränkt. Nordkorea ist isoliert, einzig Nachbar China ist regelmäßig mit

Pjöngjang im Gespräch. Seit dem Machtantritt von Südkoreas Präsident Lee Myung

Bak 2008 haben sich die Beziehungen zwischen dem Süden und dem Norden noch

einmal spürbar abgekühlt, Handelsbeziehungen, die Lee nun beenden will, gibt es

seitdem sowieso nur noch wenige. Einzig ein Verbot für die zeit- und geldsparende

Durchfahrt von nordkoreanischen Schiffen in südkoreanischen Gewässern verspricht

Wirkung. Eine Ausnahme soll es geben für den gemeinsamen Industriepark in der

nordkoreanischen Grenzstadt Kaesong – das letzte noch verbliebene

Wirtschaftsprojekt beider Länder und ein Symbol der Annäherung – und für

humanitäre Hilfe für Kinder in Nordkorea. Allerdings, so beschloss Nordkoreas

Regierung nun, sollen alle Südkoreaner aus Kaesong ausgewiesen werden .


Aller Konflikte zum Trotz, an einem

Komplettzusammenbruch Nordkoreas

kann keinem der Nachbarländer

gelegen sein, auch wenn Pjöngjang die

Region noch so sehr quält. China und

Südkorea fürchten unkontrollierbare

Flüchtlingsströme aus dem

unterentwickelten Land. Zudem würde

ein wiedervereintes Korea zur Folge

haben, dass die amerikanische

Einflusszone direkt an die Volksrepublik grenzt – für Peking unvorstellbar. Südkorea

will, wenn überhaupt, eine Konföderation, aber keine plötzliche Wiedervereinigung

und Japan will kein möglicherweise starkes wiedervereinigtes Korea neben sich.

Am Ende könnte Diktator Kim Jong Il mit seiner tödlichen Provokation wieder

durchkommen – und im Inneren die eigene Position wie auch die seines von ihm als

Nachfolger auserkorenen Sohnes Kim Jong-un gestärkt haben. Zeitgleich zu Kims

Ablenkungsmaßnahme von den extremen Hungerproblemen im Land machen

Meldungen die Runde, wonach massenhaft Kunstdünger aus China auf den

nordkoreanischen Märkten im Grenzgebiet aufgetaucht sei. Der Mai gilt als

wichtigster Monat für das Düngen des Getreides. Wirkt der Kunstdünger, hat China

seinem schwierigen Schützling mal wieder etwas helfen können.

COPYRIGHT: ZEIT ONLINE, Reuters, dpa

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