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Torpedoattacke: Nordkoreas ewige Provokationen | Politik | ZEIT ONLINE
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AUSLAND
VON Steffen Richter 25.5.2010 - 19:14 Uhr
TORPEDOATTACKE
Nordkoreas ewige Provokationen
Droht Krieg zwischen Nord- und Südkorea? Wohl nicht, wenn
Seoul sich zurückhält und die Torpedoattacke als Teil des
üblichen Gebarens Pjöngjangs begreift.
Die Kriegsrhetorik hält Einzug in die Auseinandersetzungen zwischen Nord- und
Südkorea, seitdem die südkoreanische Korvette Cheonan wohl durch einen
Torpedoangriff des kommunistischen Nachbarlandes versenkt wurde. 46 Matrosen
starben durch die Attacke nahe der innerkoreanischen Seegrenze im Gelben Meer
Ende März. Pjöngjang bestreitet, das Schiff versenkt zu haben.
Südkoreas Präsident Lee Myung Bak behielt sich am Montag im Fall weiterer
Provokationen des Nordens für sein Land das Recht auf Selbstverteidigung vor.
Nordkorea konterte mit militärischen Drohungen. Südkorea wiederum will die
Propaganda-Durchsagen an der Grenze wieder aufnehmen, der Norden drohte, die
Lautsprecher zu beschießen. Vergangene Woche bereits soll Nordkoreas Machthaber
Kim Jong Il seine Streitkräfte in Kampfbereitschaft versetzt haben, heißt es am
Dienstag aus Dissidentenkreisen, doch eine Bestätigung dieser Meldung gibt es
nicht. Südkorea und die USA planen nun zwei gemeinsame Seemanöver, berichtete
das US-Verteidigungsministerium am Montag. Bei den Übungen solle es vor allem
darum gehen, U-Boote aufzuspüren und abzuwehren.
Die Wut in Südkorea und die Solidaritätsmaßnahmen ihrer Schutzmacht USA mögen
nachvollziehbar sein, bei der Lösung der ewigen Krise helfen sie keineswegs.
Ohnehin wäre der Norden in einem ernsthaften militärischen Konflikt chancenlos.
Die kommunistische Diktatur unterhält zwar eine große Armee – viel zu groß für das
komplett verarmte Land mit seinen 24 Millionen Einwohnern –, doch ist ihre
militärische Ausrüstung veraltet. Mehr als eine Million Soldaten stehen für
Pjöngjang im Sold, die meisten stationiert im Grenzgebiet zum Süden. Im Mai
vergangenen Jahres gelang es dem Regime zudem, erfolgreich eine Atomwaffe zu
zünden – wenngleich es nach Ansicht von Experten noch mehrere Jahre benötigt,
um einen Sprengkopf für eine selbstentwickelte Rakete zu bauen. Deshalb ist die
konventionelle Bewaffnung zurzeit noch eine größere Gefahr für Nordkoreas
Nachbar: Nur 40 Kilometer sind die Außenbezirke Seouls von der Grenze entfernt.
Im Süden sind daher 28.000 US-Soldaten stationiert, Seoul hat 670.000 Soldaten.
Weshalb also riskiert Diktator Kim eine Verschärfung des Dauerkonfliktes, den er
militärisch nicht gewinnen kann? Der Verdacht liegt nahe, dass er die Torpedo-
Attacke erneut dazu nutzte, seine vermeintliche Unberechenbarkeit zu
unterstreichen. 2009 provozierte das Regime schon mit dem Start von Kurz- und
Mittelstreckenraketen. Ein Langstreckentest misslang zwar, doch im Mai folgte die
unterirdische Zündung der Atomwaffe, im November ließ man dann ein
Patrouillenboot in südkoreanische Gewässer eindringen.
Diese Grenzüberquerung endete mit einem Beschuss durch ein südkoreanisches
Kriegsschiff. Aus der Regierung in Seoul heißt es jetzt, dass die Cheonan-Affäre eine
Vergeltung für diese Demütigung sei, doch stimmt dies allenfalls zum Teil. Vielmehr
kann der Torpedo-Beschuss als eine Fortsetzung der kalkulierten Provokationen
gesehen werden, mit denen Kim Jong Il bislang durchaus Erfolg hatte. Er will mit
extremen Aktionen erzwingen, dass die USA direkt mit Pjöngjang über das
umstrittene Atomprogramm verhandeln. Dabei ist es allerdings sehr
unwahrscheinlich, dass Nordkorea im Falle direkter Verhandlungen mit Amerika am
Ende tatsächlich auf sein Nuklear- und Raketenprogramm verzichten würde. Allein
die Möglichkeit, dass man imstande sein könnte, eine atomwaffenartige
Massenvernichtungswaffe zu bauen, gibt Pjöngjang Macht.
Doch Nordkorea braucht eben auch Geld und Lebensmittel, das extrem verarmte
Land liegt wirtschaftlich und sozial am Boden. Eine gescheiterte Währungsreform
Ende 2009 – man wollte freie Märkte zerstören und die zentrale Planung stärken –
hat die privaten Ersparnisse vernichtet und erstmals seit Langem das unterdrückte
Volk in Unruhe versetzt. Wenig später ruderte die Regierung zurück, die kleinen
Märkte durften wieder öffnen, doch der Schaden war groß. Tonnenweise werden nun
Nahrungsmittel aus dem Ausland gebraucht, um die Menschen in dem isolierten
Land ernähren zu können.
Wichtig ist für Kim Jong Il auch, die Gruppe der Günstlinge aus Partei und Militär
finanziell ruhig zu stellen. Empfindlich trifft die Nomenklatura dabei, dass die
Deviseneinnahmen aus dem Waffenhandel gestört sind, seit eine UN-Resolution
vom Juni 2009 nach dem Atomwaffentest die Kontrolle von Fracht aus und nach
Nordkorea ermöglicht.
Das Schüren regionaler Spannungen kann daher auch von den inneren Problemen
ablenken. Der Abschuss eines südkoreanischen Schiffes und der Tod von 46
Soldaten ist jedoch eine Dimension, die es so seit den achtziger Jahren des
vergangenen Jahrhunderts nicht mehr gab. 1983 verübten nordkoreanische
Geheimdienstler im birmanischen Rangun einen Anschlag auf den Premier des
Südens, dabei starben 17 Begleiter des Politikers; 1987 wurden zwei nordkoreanische
Spione für einen Bombenanschlag auf ein südkoreanisches Verkehrsflugzeug
verantwortlich gemacht, bei dem 115 Menschen ums Leben kamen. Heute ist vor
allem in Südkorea die Sorge groß, dass Pjöngjang das Land attackieren könnte, um
beispielsweise zu erzwingen, dass Wirtschaftshilfen wieder aufgenommen werden.
Die Möglichkeiten, auf diese Attacke zu antworten, sind für Südkorea eher
beschränkt. Nordkorea ist isoliert, einzig Nachbar China ist regelmäßig mit
Pjöngjang im Gespräch. Seit dem Machtantritt von Südkoreas Präsident Lee Myung
Bak 2008 haben sich die Beziehungen zwischen dem Süden und dem Norden noch
einmal spürbar abgekühlt, Handelsbeziehungen, die Lee nun beenden will, gibt es
seitdem sowieso nur noch wenige. Einzig ein Verbot für die zeit- und geldsparende
Durchfahrt von nordkoreanischen Schiffen in südkoreanischen Gewässern verspricht
Wirkung. Eine Ausnahme soll es geben für den gemeinsamen Industriepark in der
nordkoreanischen Grenzstadt Kaesong – das letzte noch verbliebene
Wirtschaftsprojekt beider Länder und ein Symbol der Annäherung – und für
humanitäre Hilfe für Kinder in Nordkorea. Allerdings, so beschloss Nordkoreas
Regierung nun, sollen alle Südkoreaner aus Kaesong ausgewiesen werden .
Aller Konflikte zum Trotz, an einem
Komplettzusammenbruch Nordkoreas
kann keinem der Nachbarländer
gelegen sein, auch wenn Pjöngjang die
Region noch so sehr quält. China und
Südkorea fürchten unkontrollierbare
Flüchtlingsströme aus dem
unterentwickelten Land. Zudem würde
ein wiedervereintes Korea zur Folge
haben, dass die amerikanische
Einflusszone direkt an die Volksrepublik grenzt – für Peking unvorstellbar. Südkorea
will, wenn überhaupt, eine Konföderation, aber keine plötzliche Wiedervereinigung
und Japan will kein möglicherweise starkes wiedervereinigtes Korea neben sich.
Am Ende könnte Diktator Kim Jong Il mit seiner tödlichen Provokation wieder
durchkommen – und im Inneren die eigene Position wie auch die seines von ihm als
Nachfolger auserkorenen Sohnes Kim Jong-un gestärkt haben. Zeitgleich zu Kims
Ablenkungsmaßnahme von den extremen Hungerproblemen im Land machen
Meldungen die Runde, wonach massenhaft Kunstdünger aus China auf den
nordkoreanischen Märkten im Grenzgebiet aufgetaucht sei. Der Mai gilt als
wichtigster Monat für das Düngen des Getreides. Wirkt der Kunstdünger, hat China
seinem schwierigen Schützling mal wieder etwas helfen können.
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