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31. Mai 2010, 12:54 Uhr
Korea-Krise
Tunnelgräber, Kidnapper, Killer
Aus Panmunjom berichtet Andreas Lorenz
Bizarre Propaganda und ein Tunnel des Terrors: Die Grenze zwischen den
beiden Koreas ist einer der gefährlichsten, einer der merkwürdigsten Orte der
Welt. Es ist ein Tummelplatz der Agenten und Provokateure, denn der Krieg
zwischen Nord und Süd wurde formal nie beendet. Er geht im Geheimen weiter.
Irgendwo, zwischen Bäumen, Wiesen und Feldern, verläuft er - der 38. Breitengrad und
gleichzeitig jene legendäre Linie zwischen Süd- und Nordkorea, welche die Uno 1953 als
Grenze zwischen den verfeindeten Heeren des Korea-Krieges festlegte.
Ein Friedensabkommen existiert bislang nicht, formal befinden sich beide Koreas noch im
Krieg.
Im Dunst ist die nordkoreanische Stadt Kaesong mit ihrer Sonderwirtschaftszone zu
sehen, in der südkoreanische Firmen mit fast 40.000 nordkoreanischen Arbeitern Waren
produzieren. Auf der neuen Straße dorthin ist bis auf ein paar südkoreanischer
Militärlaster kein Auto zu entdecken.
"Wir lassen Lastwagen nur alle Stunde im Konvoi durch", sagt ein Feldwebel, der von
einer Beobachtungsplattform Richtung Norden starrt. An einer Mauer steht das Motto
seiner Truppe: "Stolz und Vertrauen." In der Ferne sind die zwei riesigen Fahnenmasten
Nord- und Südkoreas zu erkennen.
Alles geht bislang seinen normalen Gang hier auf der südkoreanischen Seite der
Demarkationslinie. Rote Busse kutschieren Touristen, viele davon aus China, an
Kasernen, Kirchen und Reisfeldern vorbei zu den Sehenswürdigkeiten dieses
merkwürdigen Ortes, zum Beispiel zum sogenannten Tunnel Nr. 3, den die Nordkoreaner
1978 gruben, um den Süden zu infiltrieren. Wäre er nicht entdeckt worden, hätten
30.000 Soldaten in einer Stunde unterirdisch nach Südkorea geschmuggelt werden
können.
Ein Bähnlein transportiert die Besucher in die Tiefe, dann geht es leicht gebückt zu Fuß
ein paar hundert Meter weiter Richtung Norden, bis zu einer Mauer. Die Nordkoreaner
streiten bis heute ab, den Tunnel gebohrt zu haben.
Einer der gefährlichsten Orte der Welt
Sogar Plakate mit den Kandidaten der Provinzwahlen hängen an einer Straßenkreuzung
der demilitarisierten Zone. Und am Startpunkt der Touren können Koreaner Karussell
fahren oder sich in einer Schaukel in die Luft schwingen lassen.
Seitdem ein nordkoreanisches U-Boot am 26. März die südkoreanische Korvette
"Cheonan" mit einem Torpedo versenkte und 46 Seeleute in die Tiefe riss, ist die
Demarkationslinie - wieder einmal - zu einem der gefährlichsten Orte der Welt geworden.
Die drei Staats- und Regierungschefs Chinas, Japans und Südkorea haben am
Wochenende auf der Insel Jeju versucht, die Krise zu entschärfen. Allerdings gelang es
dem südkoreanischen Präsidenten Lee Myung Bak nicht, den chinesischen Premierminister
Wen Jiabao auf seine Seite zu ziehen. Peking weigert sich nach wie vor, Nordkorea offen
zu verurteilen. Es benötige mehr Zeit, um die von Seoul vorgelegten
Untersuchungsergebnisse zu überprüfen, hieß es.
"Die dringende Aufgabe für den Moment lautet, die durch den 'Cheonan'-Zwischenfall
verursachten ernsthaften Auswirkungen zu bewältigen, die Spannungen schrittweise zu
entschärfen und mögliche Konflikte zu verhindern", erklärte Wen.
Der Grund für die Zurückhaltung: China ist Nordkoreas treuester Verbündeter, es will
verhindern, dass sich Herrscher Kim Jong Il und seine Militärs in die Ecke gedrängt fühlen
und die Krise eskalieren lassen.
Beziehungen geprägt von Mord- und Totschlag
Sie wissen, wie gefährlich die Lage ist, denn seit dem Waffenstillstand sind die
Beziehungen zwischen Süd- und Nordkorea geprägt von Mord und Totschlag, die
koreanische Halbinsel ist eine Welt der Agenten und Provokateure, der Tunnelbauer, Killer
und Kidnapper.
Immer wieder versuchten nordkoreanische Agenten und Soldaten, jenseits der
Demarkationslinie Unheil anzurichten. Im Januar 1968 drangen 31 Mann sogar bis in die
Nähe des Blauen Hauses, dem Regierungssitz in Seoul, vor, wo sie der südkoreanischen
Führung den Garaus machen wollten.
Kim, der sich neuerdings "General" und nicht mehr "Lieber Führer" nennen lässt, ließ
Dutzende, vielleicht sogar Hunderte, von Japanern und Südkoreanern in sein Reich
entführen. Neun Terroristen der japanischen Rote Armee Fraktion gewährte er
Unterschlupf.
1982 vereitelte die kanadische Polizei ein Attentat auf den südkoreanischen Präsidenten
Chun Do Hwan. Im nächsten Jahr versuchte ein nordkoreanisches Killerkommando Chun
in Rangun erneut in die Luft zu jagen. Die Bombe tötete 17 hohe Regierungsbeamte,
Chun überlebte.
Zwei nordkoreanische Agenten sprengten 1986 Flug 857 von "Korean Airlines" auf dem
Flug von Bagdad nach Seoul über der Andamanen-See in die Luft, 115 Menschen
starben. Offenbar wollte Kim mit dieser Tat die Olympischen Spiele 1988 in Seoul
sabotieren.
Mit der Krisenstimmung innenpolitisch Punkte machen
Nordkorea streitet nach wie vor vehement ab, etwas mit dem Torpedo-Angriff zu tun zu
haben. Ein paar südkoreanische Oppositionelle äußern ebenfalls Zweifel. Der Journalist
und ehemalige Marinesoldat Shin Sang Cheol, selbst Mitglied der
Untersuchungskommission, wirft der Regierung laut der Zeitung "Joong Ang Daily" vor,
wichtige Erkenntnisse zu verschweigen, um mit der Krisenstimmung innenpolitisch Punkte
zu machen.
Er vermutet, dass die Korvette in Wahrheit mit einem anderen Schiff zusammenstieß,
auch die Aufschrift "Nr. 1" auf den Torpedoresten, die Seoul als Beweis für die
nordkoreanische Herkunft dient, komme ihm verdächtig vor. Staatsanwälte verhörten ihn
deshalb, sie verdächtigen ihn, falsche Gerüchte zu verbreiten.
Am vorigen Wochenende inspizierte der südkoreanische Stabschef Armee-Einheiten im
ganzen Land und diskutierte mit seinen Generälen mögliche Reaktionen, falls Nordkorea,
wie angekündigt, zum Beispiel die Propagandalautsprecher beschießen sollte, die an der
Demarkationslinie installiert werden sollen.
Den Plan, Hunderttausende von Flugblättern mit Luftballons gen Norden zu befördern, ließ
das Militär vorerst fallen, um die Nordkoreaner nicht allzu sehr zu reizen.
Unternehmer, die jenseits der Grenze in der Industriezone von Kaesong produzieren
lassen, versuchten derweil die Regierung davon zu überzeugen, auch die Idee mit den
Propagandalautsprechern fallenzulassen. Sie fürchten, Nordkorea könne seine Drohung
wahr machen und den Fabrikkomplex Kaesong schließen - und ihnen damit große
Verluste bescheren.
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